Menschen brauchen eine Unsicherheitstoleranz
Artikel veröffentlicht vom Strive Magazin, Ausgabe 6 in 2025, p.30:
"Dossier: Positive Mindset. In unsicheren Zeiten zuversichtlich bleiben: für viele Menschen gerade eine Herausforderung. Eine Spurensuche mit sehr positivem Ausgang"
Interview mit: Judith Mangelsdorf ist Psychologin und Professorin für Positive Psychologie an der Deutschen Hochschule für Gesundheit und Sport. (LinkedIn Profil)
Zusammenfassung veröffentlicht in diesem LinkedIn Beitrag von Dr Mangelsdorf. Unten für all die, die kein LinkedIn account haben:
"Positive Mindset" – ja. Aber nicht durch die Vermeidung von Angst, sondern durch die Fähigkeit, ihr wirklich zu begegnen.
Ich durfte kürzlich ein Interview für das STRIVE Magazine geben – mit dem Untertitel "Positive Mindset". Ein Begriff, der eine faszinierende kulturelle Entwicklung offenbart: Wir haben kollektiv beschlossen, dass "positiv sein" erstrebenswertes ist. Wissenschaftlich stimmt das auch. Doch was genau meinen wir damit? Und was passiert, wenn diese Idee selbst dysfunktional wird?
Ein "positives Mindset" wird in der Alltagspsychologie oft missverstanden und schnell gleichgesetzt mit Vermeidung und damit negative Gefühle zu umgehen: "Good vibes only." Aus psychologischer Sicht ist das jedoch keine positive Denkgewohnheit, sondern eine Form der Erfahrungsvermeidung.
Was bedeutet es tatsächlich Halt in sich zu finden und dem Leben dadurch positiv begegnen zu können?
Forschung zeigt: Es ist in großen Teilen die Fähigkeit zur Emotionstoleranz, also die Kapazität, sowohl positiv emotionale Zustände aufzubauen, als auch unangenehme in sich halten zu können, ohne sofort reaktiv zu werden. Angst, Unsicherheit oder Trauer sind keine Störfaktoren, die es zu eliminieren gilt, sondern Informationsträger unseres psychischen Systems.
Das Grundprinzip: Emotionen haben eine natürliche Verlaufskurve. Eine Emotion wie Angst dauert zwischen Sekunden und wenigen Minuten – wenn wir sie lassen. Das Problem entsteht nicht durch die Emotion selbst, sondern durch unsere kognitive Reaktion darauf. Wenn wir beginnen, Gedanken zu denken, die die Angst vergrößern ("Was wäre wenn..."), eskalieren wir innerlich. Die Emotion, die sich von selbst auflösen würde, wird durch unsere Vermeidungsversuche oder innere Eskalation intensiviert.
Das führt zu einem paradoxen Effekt: Je mehr wir versuchen, negative Gefühle zu kontrollieren oder zu vermeiden, desto mächtiger werden sie. Die Forschung nennt das "experiential avoidance" – und es ist ein zentraler Mechanismus bei der Entstehung psychischer Belastung.
Was bräuchten wir also stattdessen? Ein "positives Mindset", das Offenheit gegenüber allen Erfahrungen bedeutet. Ein wirklich funktionales Mindset ist nicht das gleiche, wie situationsunabhängig positiv zu denken. Es bedeutet, handlungsfähig zu bleiben – auch und gerade dann, wenn wir mit Angst konfrontiert sind. Denn nur wenn wir nicht in Vermeidung oder innerer Eskalation gefangen sind, können wir uns konstruktiv für eine positive Entwicklung einsetzen. In uns und in der Welt da draußen.
Die Frage ist also nicht: "Wie werde ich positiver?" Sondern: "Wie entwickle ich die Kapazität, mit dem vollen Spektrum menschlicher Erfahrung umzugehen – einschließlich der unangenehmen Teile?"
Das vollständige Interview finden Sie in der aktuellen Ausgabe von Strive.
Oft ist ein Missverstehen von "Positivität" in sich selbst ein Bewältigungsmechanismus. Denn das wirklich Hilfreiche im Leben, wächst oft auch aus den größten Herausforderungen.
Für neurodivergente Menschen anders:
Der Artikel enthält sechs bewährte Tipps zur Verbesserung der psychischen Gesundheit, wobei einige davon für ein neurodivergentes Gehirn angepasst werden müssen:
Tipp Nr. 5 – „Gefühle fühlen”: Das kann für Menschen mit Alexithymie, die bei neurodivergenten Menschen häufig vorkommt, schwierig sein. Wir neigen dazu, Dinge verzögert zu fühlen oder können sie in dem Moment, in dem sie passieren, nicht wirklich benennen. In solchen Fällen können Methoden der verzögerten Reflexion, wie das Führen eines Tagebuchs, einen großen positiven Unterschied machen.
Tipp Nr. 6 – „Mikroziele“: Hier empfehle ich das Buch „Tiny Experiments“ von Anne-Laure Le Cnuff, einer neurodivergenten Neurowissenschaftlerin und Psychologin. Dies erscheint am 25. Januar 2026 in deutsch. Ich habe es bereits in Englisch gelesen und es ist ausserordentlich hilfreich.
Viele der sechs Tipps sind für uns ganz normales, alltägliches Selbst-management, das wir zum Funktionieren benötigen, aber es ist dennoch nützlich, daran erinnert zu werden. Mein Favorit ist Tipp Nr. 2 – „Triggerkontrolle“. Das ist vielleicht das Wichtigste für einen neurodivergenten Menschen.
Die folgende Infografik wurde von Notebook LM KI auf Grundlage des deutschen Originalartikels erstellt:
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